Sonntag, 10. August 2014

Krabat oder Die Verwandlung der Welt [Jurij Brězan]

'Das nicht austrocknende Blut auf dem Père-Lachaise. Das Mädchen kauernd, die Hände vor dem Gesicht, in Pompeji. Anton Donat, den Fuß in der Tür, es darf nur gewußt werden, was erlaubt ist zu wissen. Als wir das letztemal Brot im eigenen Backofen buken. Als der Krieg zu Ende war und ich dachte: Nun haben die Menschen gewonnen.' S. 89f 



Ein wirklich großartiges Buch und ich bin immer wieder erschrocken wie aktuell es noch ist.
Veröffentlicht wurde es 1976 von Jurij Brězan und die DDR war sich wohl nicht sicher, ob sie es verbieten lassen sollen oder nicht.
Das große Oberthema sind die Risiken von Biologie und Genetik.
Der Protagonist der Geschichte ist Jan Serbin, der bei seinen Forschungen die Gene des Menschen entschlüsselt hat und weiß, wie man sie verändern kann; wie zB Gliedmaßen wieder nachwachsen können, der Krebs geheilt werden kann und Gehirne neu eingerichtet werden können.
Sein Kontrahent ist Lorenzo Ceballo, der ebenfalls auf der Suche nach dieser Formel ist, allerdings weniger edle Motive hat.
Denn damit kann auch das Gegenteil erzeugt werden und so ist sich Jan Serbin nicht sicher, ob er seine Erkenntnisse der Welt zugänglich machen soll oder nicht und da kommt Krabat ins Spiel.
Um eine Antwort auf diese Frage zu finden, wendet er seine Entdeckung auf sich selbst an und wird zur vernünftigsten und moralischsten Person, die er kennt: Krabat.
Einige kennen vielleicht die sorbische Legende über den Betteljungen, der nach dem 30-Jährigen Krieg in die Lehre bei einem Müller geht, der die Schwarze Magie beherrscht.
Neben dem Müllerhandwerk bringt er den Lehrlingen auch die  Zauberkunst bei, dafür muss allerdings jedes Jahr einer sterben, damit der Müller unsterblich bleibt.
Krabat fordert den Müller zu einem Duell heraus und gewinnt, anschließend entsagt er der Magie.
In diesem Buch wird er als Sinnbild gebraucht für das Vernünftige und Moralische, als Gegenspieler haben wir hier nicht den Müller sondern Graf Wolf Reißenberg mit dem Immermehr und dem Niegenung.

 Die beiden Realitäten verschwimmen ineinander; Gegenwart, Vergangenheit, Zukunft sind nicht mehr klar definiert; Träume, Legenden und Parabeln werden zu einer Geschichte.
Ich will es nicht verheimlichen: Das Buch ist schwerer Lesestoff, aber es lohnt sich.
Erwartet nur keine gradlinige Erzählung mit klar definierten Protagonisten, mit einem Anfang und einem Ende.
Die Geschichten in der Geschichte sind voller Erkenntnisse und Symbole: Der Wasserwächter, der den Preis für Wasser erhöht, woraufhin die Leute rebellieren, sodass er sie mit Wasserwerfen vertreiben muss, woraufhin der Preis für Wasser erhöht wird; die Stadt der Augenlosen und der Einäugige Bettler; Ratten ohne Selbsterhaltungstrieb, die spielen bis sie sterben; der Genral der seine Soldaten verkauft um Waffen kaufen zu können.
Und immer die Frage: 'Soll und darf zugunsten einer nicht nur besseren, sondern endgültig kriegsvergessenen Welt, eingegriffen werden in die Gene, die Erbbotschaften der Menschen?'

'Anton Donat hatte richtig gehört, er sagte mit einem ganz vorsichtigen Nachdruck, natürlich wirst du uns die Kristalle... liefern oder ausliefern, es war nicht ganz klar, was er sagte. Wir machen die Menschen so klug, daß sie keine Dummheiten mehr begehen können.
Ich meinte, sagte Jan Serbin zum König, wir, irgendein Wir, auf der einen und ,,die Menschen" auf der anderen Seite, darin liegt der ganze Schrecken für mich.' S. 158

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